von Katharina Iyen
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10. November 2024
Jetzt wird's persönlich Dass ich mal durch New York City schlendern würde? Schwer vorstellbar. Lange Zeit war das für mich so weit weg wie die Oscar-Verleihung. In den späten 2000ern lebte ich von Kellnerjobs in schlecht isolierten WG-Zimmern und begann, meine Abschlüsse nachzuholen. Und doch stand ich im Jahr 2024 zwischen Wolkenkratzern und Bagel-Shops und staunte über die Architektur dieser Stadt – mit gemischten Gefühlen. New York ist cool, keine Frage. Aber die allgegenwärtige Armut stimmte mich nachdenklich. Meine Anfänge: Sozialhilfe, Alleinerziehende Mutter und null Perspektiven Als Tochter einer alleinerziehenden Mutter, die von Sozialhilfe lebte, wusste ich früh, was es heißt, „am Rand“ zu stehen. Geld? Ein Dauerthema. Träume? Für andere gemacht. Ich habe mir selbst ausgerechnet, wie viele Nachtschichten nötig wären, um mal zu reisen, wie andere es taten. Mit 15 dann mein eigener Cut: Raus aus dem Elternhaus, rein ins selbstbestimmte Leben. Barkeeperin, DJane, eine zweite Heimat in der Nacht – und nebenbei Schulabschlüsse nachholen. Abendrealschule: 1,3. Abendgymnasium: 1,3. Studium? Ebenfalls 1,3. Ziemlich stolz darauf. Aber New York? Noch immer Lichtjahre entfernt. Miete und Rechnungen zahlen zu können, das war mein Horizont. Was sozialer Aufstieg wirklich bedeutet (Spoiler: mehr als Status und Kohle) Art Dauer-Achterbahnfahrt in Welten, in denen du nie ganz ankommst. Du entfernst dich von deiner alten Welt, aber da du nicht ändern kannst, woher du kommst, wirst du auch zur neuen nicht vollständig gehören. Du versteckst einen Makel: Kindheitsspiele im Hof statt Skiurlaub, eine Uni in der Nähe, weil alles andere zu teuer wäre, die ständige Panik, zu versagen. Mir wurde es erst klar, als ich durch Bildung und eine partnerschaftliche Beziehung „nach oben“ kam. Plötzlich lebte ich auf 400 Quadratmetern mit Luxusautos vor der Tür. Doch ich kam nicht an. Die Codes, der Habitus der anderen, befremdeten mich. In Diskussionen konterte mein damaliger Partner mit: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ Klar, wenn deine Eltern Schmiede sind. Aber sonst? Deine Umwelt kann dein Talent nicht fördern, wenn keine Grundlage dafür da ist. Der Aufstieg klebt wie Pech an dir, bis du ihn zu deinem machst und verstehst, dass du ihn dir wirklich verdient hast. Dein Selbstverständnis entsteht nicht aus Familie und Status, sondern aus dir allein. Zweifel bleiben: selbst wenn du mit Mitte 30 dein Bafög zurückzahlst. 10.000 Euro Rückzahlungshöchstgrenze, und wer alles auf einmal zahlt, bekommt über 2000,- erlassen. Ein Schelm, wer hier an strukturellen Klassismus denkt. Der Weg ist steinig, aber er prägt dich Was du lernst, was du mitbringst, das prägt dich. Du entwickelst Fähigkeiten, die man in der Schule nicht lernt. Und das macht sozialen Aufstieg zur echten Diversity-Komponente. Es geht um Perspektiven, um Erfahrungen. Um das, was einen ausmacht und auch mal verstummen lässt, wenn die Hochglanz-Bio der anderen durch die Kaffeeküche geistert. Vielleicht bist du aber die einzige Person im Büro, die weiß, wie sich der Handwerker, der die Heizung repariert, als Mensch behandelt fühlt. Klassismus – das oft unsichtbare Hindernis Das unsichtbare Hindernis: struktureller Klassismus. Das deutsche Schulsystem? Fördert meiner Meinung nach systematisch Minderwertigkeitsgefühle bei denen, die nicht auf Samt gepolstert aufwachsen. Als Kind habe ich das so sehr gespürt, dass ich erst seit meinen 30ern darüber sprechen kann. Nach der Grundschule gab es die „Realschulempfehlung“ für mich – nicht wegen schlechter Noten, sondern weil meine Lehrerin „keine Gymnasiastin“ in mir sah. Echte Vielfalt? Startet mit sozialem Aufstieg In New York habe ich mit vielen Menschen gesprochen – Pizzabäckern, Kellnern, Securitys. Die „unsichtbaren Helden“, die Manhattan am Laufen halten. Die meisten wohnen nicht mal in der Nähe. Klar, ein Zimmer kostet in Manhattan um die 4.000 Dollar im Monat. Diese Menschen pendeln stundenlang, opfern Zeit und Energie, um über die Runden zu kommen. Sie sind die wahren Gesichter der Stadt, denen der Zutritt zum Glanz verwehrt bleibt. Ein Paradoxon, das sich durch die hippen Viertel der Städte weltweit zieht. Der Anfang echter Diversity Sozialer Aufstieg bereichert unsere Gesellschaft und Unternehmen. Er bringt neue Perspektiven und Erfahrungen, die Teams wirklich stärken. Doch für echte Vielfalt braucht es mehr als nur Schlagworte – es braucht Menschen, die bereit sind, Barrieren zu brechen und den Kreislauf aus Scham und Stigmatisierung zu durchbrechen. Denn jeder Mensch hat Potenzial – die Frage ist nur, ob die Umwelt dessen Entfaltung zulässt und fördert. Natalya Nepomnyashcha , Gründerin von Netzwerk Chancen , b eschreibt genau diesen Kampf in ihrem Buch „Wir von unten: Wie soziale Herkunft über Karrierechancen entscheidet“. Auch sie bekam ihre Dosis „Du gehörst hier nicht hin“ – trotz Top-Noten. Klassismus ist das unsichtbare Hindernis, das uns oft nur für die Betroffenen sichtbar begleitet. Soziale Herkunft bleibt eine Art Stempel, der uns verfolgt. Doch wie „Made in Germany“ einst als Stigma gedacht war, können auch Aufsteiger diesen Stempel zur Marke machen und Stärke aus ihrer Herkunft ziehen – vor allem, indem sie andere informieren und unterstützen. Wenn du mir über sozialen Aufstieg erfahren willst, empfehle ich dir das Buch "Wir von unten". Unten siehst du mich mit meinem Superhero in Sachen Aufstieg: Natalya. Hier kannst du das Buch bestellen . Dankö!